Rechtsruck? Ja, bei den Linken
Juni 2021Der Linken ging es nie wirklich gut in den letzten 30 Jahren.
Die Entwicklung seit dem Zusammenbruch des Ostblock-Sozialismus könnte man als Ausbluten der linken Theorie bezeichnen. Dies geschah in drei Stufen:
- Zuerst noch glaubte man, der Kapitalismus würde sich nun global von seiner hässlichen Seite zeigen, und alsbald wieder den Ruf nach einem alternativen Gesellschaftssystem lauter erschallen lassen.
- Das geschah bekanntlich nicht, und die Linke beschränkte sich nur noch auf die sogenannte Kapitalismuskritik, nach der der Kapitalismus nicht in der Lage sei, dringende Menschheitsprobleme zu lösen. Die Benennung einer Alternative infolge Ermangelung derselben fiel dabei allerdings weg.
- Schließlich aber ging man dazu über, typisch linke Themen von der Kapitalismuskritik zu lösen und die bewährten marktwirtschaftlichen Mechanismen des Kapitalismus in die Lösung der von links benannten Menschheitsprobleme einzubauen.
Die Linken selbst würden diesen seltsamen Wandel vermutlich als Pragmatismus oder gar als "Erwachsenwerden" bezeichnen. Tatsächlich ist es aber die Bankrotterklärung der ursprünglichen Ideenwelt.
Nun kann es also auch linke oder grüne Unternehmer geben oder gar linke Milliardäre. Es scheint, dass die Linke an Einfluss gewonnen hätte. In Wahrheit aber hat schon lange eine Wanderung der Linken stattgefunden, die nur eine Richtung kennt: rechts.
Dieser Weg führt in die Mitte. Von der vor knapp hundert Jahren mehrheitsfähigen revolutionären Linken ist eine in die Mitte gerückte, nicht mehr mehrheitsfähige bürgerliche Linke übrig geblieben. Sie würde sich augenblicklich pulverisieren, wenn sie auch nur einen kleinen Schritt geistig dorthin zurück gehen würde, wo sie hergekommen ist.
Im Gepäck führen die Wanderer das übrig gebliebene Hab und Gut, also Themen wie: Umwelt/Klima, Antifaschismus, Identität/Diskriminierung, Migration/Dritte Welt.
Wir haben einen Rechtsruck, nur wurde der von den Linken ausgelöst. Sie bedrängen nun diejenigen, die schon immer in der Mitte waren.
Die kooperativen Teile der alten Mitte handeln seitdem mit den linken Wanderern Themen.
Die nicht kooperativen Teile der Mitte jedoch werden nach rechts abgedrängt. Dort sind sie mit denen konfrontiert, die schon bzw. noch immer dort stehen.
Für die Identität der in die Mitte migrierten Linken ist die "Neue Rechte" existenziell wichtig. Das durch jahrzehntelange Rückzugsgefechte ausgehöhlte Linkssein bedeutet für viele nur noch: Gegen-Rechts-Sein. Linke konstruieren in der Not ein ihr Immer-Noch-Links-Sein legitimierendes Ungeheuer: die rechte Gefahr. Und weil es in der Realität im Gegensatz zu den neunziger Jahren an echten Gefährdern mangelt, entstehen skurrile Feindbild-Welten, in denen "rechts" zum Sammelbegriff für alles "Böse" dieser Welt geworden ist: vom Klima-Leugner bis zum Corona-Leugner.
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