KI und Musik - Teil 1
Oktober 2024Die Entwicklung der populären Musik verlief immer an den Grenzen des technisch Möglichen. Von der elektrischen Gitarre über die
Mehrspuraufnahme, den Synthesizer, den Sampler bis hin zur Musikproduktionssoftware. Dass nun auch künstliche Intelligenz zum Thema der Popmusik wird,
ist folgerichtig.
Was wird dadurch anders? Was sollte man bei diesem Thema bedenken? Was könnte dabei problematisch sein?
Ich versuche in mehreren Blogeinträgen einige Gedankenfelder zu skizzieren.
Teil 1 - Eine Lösung für kein Problem
Bis zum Aufkommen der KI, wurden jeden Tag ca. 100.000 neue Musiktitel auf Spotify hochgeladen.
Udio, ein gefragtes Musik-Online-KI-Tool gibt in
einer Sekunde 10 neu generierte Titel aus, also 860.000 Titel pro Tag. Da es immer mehr dieser Websites gibt, kann man von einer Potenzierung der Datenmenge
existierender Tracks ausgehen. Die Ergebnisse sind beachtlich, nicht immer leicht zu erkennen, und sie haben vereinzelt schon Eingang in den Musikmarkt gefunden.
Wir lebten vor dem Einzug der KI bereits in einer Musik-Inflation, nun kommt die Musik-Hyperinflation.
Doch die Zahl der Hörer und auch die Zeit
der Hörer kann nicht im Ansatz mitwachsen. Die Bereitschaft, für Musik Geld zu bezahlen, sinkt sogar. Die Konsumenten haben sich an kostenlose
Hörangebote gewöhnt.
Im Grunde sehen wir, wie die Technik offenbar ein Problem löst, das nicht vorhanden ist. Das nicht vorhandene Problem ist der Mangel an Musik, der etwa auf immense Produktionskosten, den Mangel an Produzenten oder gar auf ein starkes Wachstum der Hörerschaft zurück zu führen wäre. Nichts davon trifft zu. Ein millionenschweres Musikstudio der 80er Jahre passt längst in einen Laptop. Zudem wird Musik nicht wie ein Lebensmittel verbraucht oder verdirbt mit der Zeit. Gute Musik erhält sich über Generationen hinweg und wird immer wieder neu entdeckt. Die Hörer hatten schon lange vor dem Einzug der KI buchstäblich "genug um die Ohren". Wer will noch schneller noch mehr Musik? Wer ist gelangweilt, weil er alles schon gehört hat? Wer ruft nach einer Revolution des Musikmarktes? Niemand, weder die Hörer, noch die Musiker.
Für letztere schafft die Lösung des nicht exstierenden Problems allerdings existentielle Probleme. Der herkömmliche Musikproduzent muss mit dem Wertverlust seiner Arbeit leben. Für jene, die mit ihrem über Jahre angeeigneten Können Auftragsarbeiten, Jingles, Werbemusik oder GEMA-freie Hintergrundmusik für Filme verkaufen konnten, ist die KI ein gefährlicher Konkurrent. Die Preise werden purzeln, das Feld der Anbieter wird sich lichten. Die schlesischen Weber grüßen.
Konventionell arbeitende Produzenten, Musikprojekte oder Bands müssen sich nun im Plattform-Algorithmus gegen einen stetig wachsenden Berg an
KI-Tracks durchsetzen. KI-Musik wird zwar noch eine Weile kennzeichnungspflichtig sein, so dass sie der Hörer aus den Suchergebnissen und Angeboten
ausschließen könnte. Abgesehen davon, dass solche Old-School-Attitüden nur selten mehrheitsfähig sind, werden die Grenzen verschwimmen.
So ist es in der Musikproduktion bereits geschehen, als sich Audiorecording und MIDI-Editing miteinander vermischten. Die Grenzen sind fließend,
es wird hybride Formen geben, zum Beispiel, wenn jemand zu einem KI-Instrumental-Track singt. Produzenten werden die KI-Tools nutzen, somit noch schneller
und billiger noch mehr produzieren können, was genauso zum Verfall des Wertes des Produktes führen muss.
Wenden wir uns aber noch
einmal dem Hörer zu. Bei einem Streaming-Anbieter wird er mit einem exponentiell wachsenden, schier unendlichen Angebot konfrontiert. Die Methoden
der Filterung werden mitwachsen. Vermutlich wird ein Großteil hochgeladener Musik nie gehört werden. Vermutlich werden die Anbieter Hürden
für den Upload entwickeln. Ich wette darauf, dass diese Hürden vor allem in der Gebührenerhöhung für Uploads liegen werden.
Bei der Gelegenheit erinnere mich an das Müllproblem der Suchmaschinen um die Jahrtausendwende herum. Manche Suchmaschinen sind am SPAM-Problem
gescheitert. Man konnte sie nicht mehr benutzen, da maschinell erstellte Seiten die Suchergebnisse verstopften. Dass sich Google seitdem so eindrucksvoll
durchgesetzt hat, lag nicht nur an dem kleinen Schnelligkeitsvorsprung, sondern darin, dass man das SPAM-Problem durch die Einführung der Interaktion
mit dem Nutzer (Panda-Update) in den Griff bekommen hat. Das aufgezeichnete Nutzerverhalten informierte Google darüber, ob eine Seite SPAM ist oder nicht.
Doch bei der KI sieht das nun etwas anders aus. Sie ist nur noch schwer von menschlichen Produkten zu unterscheiden. Mehr noch - dem Hörer könnte
das KI-Produkt gefallen.
Mit anderen Worten: die Explosion der Veröffentlichungen verursacht ein Rauschen, das die Konsumenten überfordert,
sie abstößt und gleichgültig werden lässt. Die massenhafte Verfügbarkeit führt nicht nur zum monetären Wertverlust,
sondern auch zum ideellen Wertverlust. Musik ist nicht mehr das, was es mal war.
In Teil 2 werde ich überlegen, wer Interesse an den Möglichkeiten der KI hat und warum. Eins vorweg - die Musiker sind es nicht, die Hörer auch nicht.
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